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ORN #10 Reverse Image Shotgun

Ein Wort ist schnell gegoogelt, bei einem Bild fängt das Herumgeklicke an. Rückwärts-Bildersuchen sind wertvoll für die Online-Recherche, fügen sich aber noch nicht optimal in den Alltag ein. Das ändert sich mit dem Add-on "Search by Image".

Im Werkstatt-Interview sprechen Julia Klaus und Nils Metzger von ZDFheuteCheck über ihre Recherchen in einem Forum für Waffenfans. Willkommen zur Ausgabe #10.
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"Search by Image": Rückwärts-Bildersuche in Schnell

Ein Add-on, zig Suchmaschinen | Screenshot: Search by Image
Wofür braucht man das? Das Netz lässt sich nicht nur mit Wörtern, sondern auch mit Bildern durchsuchen. Eine umgekehrte Bildersuche verrät, an welchen anderen Orten ein gesuchtes Bild ebenso auftaucht. Zu den Suchergebnissen gehören identische und ähnliche Bilder. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Fake-Meldungen entlarven, in denen Bilder aus dem Kontext gerissen wurden. Häufig lohnt sich eine Suche auf mehreren Plattformen, etwa auf Google, Yandex und TinEye. Das bedeutet aber auch eine Menge Klickarbeit. Das Add-on "Search by Image" für Chrome und Firefox übernimmt diese Arbeit.

Wie funktioniert das? Zwei Klicks genügen, schon lässt sich ein beliebiges Bild durch bis zu 43 Suchmaschinen jagen, die sich in separaten Tabs öffnen. Das Add-on steuert die Anbieter automatisch an. Es ist wie ein Schuss mit der Schrotflinte – und manchmal erzielt man damit Treffer. Das motiviert dazu, auch mal auf gut Glück eine breit gestreute Rückwärts-Bildersuche zu starten.

Was muss man beachten? Ich habe mir noch nicht alle im Add-on verfügbaren Anbieter genau angeschaut. Für den Start würde ich Google, Yandex und TinEye empfehlen. Von einer Suche bei PimEyes würde ich aus ethischen und rechtlichen Gründen abraten. Warum, das haben Daniel Laufer und ich für netzpolitik.org aufgeschrieben.

Noch mehr Treffer kann es geben, wenn man nur einen Ausschnitt des Bildes in die Suche schickt. Auch hierauf ist das Add-on vorbereitet: Ein passendes Auswahlwerkzeug namens "Capture" liegt im Add-on-Menü bereit.

Google Lens: Suchen und übersetzen in Sekunden

Ein PDF auf Polnisch – Google Lens übersetzt es automatisch | Screenshot: mckinsey.com/pl

Wofür braucht man das? Wenn es mal schnell gehen soll, ist Google Lens ein mächtiges Werkzeug für bildbasierte Suchanfragen. Bei der für iOS und Android verfügbaren Anwendung wird nicht getippt und geklickt, sondern fotografiert. Lens schickt Aufnahmen der Smartphone-Kamera in Echtzeit durch eine Rückwärtssuche von Google. Wie auch andere Rückwärtssuchen kann Lens dabei helfen, herauszufinden, wo ein Foto entstanden ist.

Außerdem erkennt Lens automatisch geschriebene Worte im Bild, verwandelt sie in kopierbaren Text und kann diesen Text auch noch übersetzen und vorlesen. Fremdsprachige Dokumente und Schilder lassen sich damit innerhalb von Sekunden lesen.
Wie funktioniert das? Google kombiniert in Lens gleich mehrere Technologien, unter anderem optische Zeichenerkennung, Online-Übersetzung, Rückwärtssuche und Text-to-Speech-Software. Auch Tiere und Pflanzen soll die Software erkennen können.

In Newsletter-Ausgabe #8 habe ich gefragt, ob jemand weiß, wie diese kleine Lokomotive heißt, die ich mal im Urlaub fotografiert habe. Google Lens hat die Antwort: Comboio da Praia do Barril.
Screenshot: Google Lens

Was muss man beachten? Die Rückwärts-Bildersuche ist nur ein Weg, um mehr über ein Foto herauszufinden. Wer das Thema vertiefen möchte, kann sich die @quiztime auf Twitter näher anschauen, dort gibt es mehrmals die Woche Recherche-Übungen rund um Fotos und OSINT.
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Interview: "Fuck Gun Control" – unterwegs im Forum für selbstgebaute Waffen

Julia Klaus, Nils Metzger | mit freundlicher Genehmigung


Ein Baumarkt, ein paar Online-Einkäufe und ein 3D-Drucker genügen, um sich heimlich zu bewaffnen, und genau das passiert offenbar bereits in Deutschland. Das zeigen ZDF-Recherchen von Julia Klaus und Nils Metzger.

Wie aus den Recherchen hervorgeht, lassen sich die Teile für selbstgebaute Waffen legal besorgen und ohne besondere Fachkenntnisse zuhause zusammensetzen. Das Ergebnis sind beispielsweise halbautomatische Pistolen oder Karabiner mit Teilen aus dem 3D-Drucker. Die Anleitungen dafür verbreiten Bastler:innen im Internet.

Vor wenigen Jahren war das noch teuer und fehleranfällig – doch die technische Entwicklung verläuft rasant. Die Aktivist:innen träumen von einer Welt, in der sich alle Menschen bewaffnen können. 

 

Wo hat eure Recherche begonnen?

Nils: Das Thema beschäftigt uns seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, bei dem der Attentäter auch selbstgebaute Waffen verwendet hatte. Die Waffen haben zwar kaum funktioniert, trotzdem haben sie zwei Menschen getötet.

 

Julia: Wenn man dann zu Waffen aus dem 3D-Drucker recherchiert, stößt man schnell auf ein Forum namens "Deterrence Dispensed". Dazu gibt es auch eine spannende Dokumentation namens "Plastic Defence". Also sind wir dem Forum beigetreten.

 

Wie habt ihr im Forum recherchiert?

Nils: Das Forum war bis vor Kurzem auf der Plattform Keybase zu finden. Forenmitglieder mussten zwar von einem Admin freigeschaltet werden, aber ihre Identität wurde nicht überprüft. Außer uns waren noch knapp über 20.000 Accounts dort Mitglied, bis Keybase – zufällig kurz vor unserer Veröffentlichung – das Forum gelöscht hat. Unter einer anderen Adresse ist es jetzt aber schon wieder in Betrieb. Viele Mitglieder waren übrigens mit ähnlichen Namen auch auf Reddit oder Twitter zu finden.

 

Julia: Wir haben viel mitgelesen und Screenshots gemacht. "Deterrence Dispensed" war in Unterforen aufgeteilt, in denen die Nachrichten teils nach 24 Stunden verschwanden. Mit einigen Usern haben wir gechattet. Einer hat mir geschrieben, dass er in Deutschland lebe und sich eine FGC-9 gebaut habe. Das ist ein halbautomatischer Karabiner, mit Teilen aus dem 3D-Drucker. Mit einem der Administratoren habe ich auch telefoniert. Er nennt sich “Ivan the Troll" und hat mehrere der Bauanleitungen selbst mitverfasst.

 

Was wollen "Ivan" und die anderen mit den Waffen machen?

Julia: Die Forenmitglieder haben eine gemeinsame Überzeugung, nämlich, dass jeder Mensch das Recht haben solle, sich zu bewaffnen. Zum Beispiel, um sich vor einem autoritären Staat zu beschützen. Regulierungen lehnen sie ab. Der Modellname "FGC-9" steht für "fuck gun control", die "9" bezieht sich auf 9-Millimteter-Munition. 

 

Welche Rolle spielen Rechtsextreme in dem Forum?

Julia: Ich war überrascht, dass ich in dem Forum nicht die menschenverachtenden Inhalte gesehen habe, die man hätte befürchten können. Mein Eindruck war: Wenn Mitglieder des Forums rechtsextrem sind, dann lassen sie es da nicht raus. "Ivan the Troll" hat mir gesagt, User würden gebannt, wenn sie Nazi-Inhalte posten. 

 

Nils: "Deterrence Dispensed" pocht immer wieder auf ideologische Neutralität und dass es offen für alle sei. Es gibt dort sogar Propaganda für die Bewaffnung von LGBTQ. Von außen finde ich es aber schwer zu sagen, was die Mitglieder dort wirklich denken, ob das nur sehr starke libertäre Einstellungen sind oder auch rechtskonservative und Alt Right.

 

"Das ist eine neue Community von Waffen-Fans, und für sie sind Waffen ein zentraler Bestandteil der eigenen Identität"

 

Wie habt ihr eure Beobachtungen im Forum überprüft?

Nils: Es gibt bereits viele öffentliche Videos, die die Waffen vorführen. In den USA ist das nicht illegal. Wir haben auch einem Waffensachverständigen eine Anleitung aus dem Forum vorgelegt. Er hat uns bestätigt, dass man damit ohne Fachkenntnis Munition herstellen kann. Außerdem haben wir selbst auf legalem Weg Komponenten für Munition gekauft, allerdings nicht zusammengebaut – für den Umgang mit Treibladung benötigt man in Deutschland eine behördliche Genehmigung. Wir wollten damit zeigen: Man muss dafür heute nicht ins Darknet gehen. Der Kauf dieser Materialien wird nicht angemessen kontrolliert.

 

Was hättet ihr gerne noch rausgefunden?

Julia: Ich hätte gerne einen der deutschen Aktivisten persönlich getroffen und gesehen, wie er seine Waffe vorführt. Für näheren Kontakt war aber keiner bereit. Mich würde sehr interessieren, welche politische Einstellung die Menschen wirklich haben und was für ein Leben sie führen. 

 

Welche Folgen hatte eure Recherche?

Nils: Für das Thema gibt es in der breiten Öffentlichkeit noch wenig Bewusstsein. Reagiert haben zum einen Waffenrechtsexpert:innen und zum anderen eine sehr engagierte Gruppe von Waffen-Nutzer:innen, die sich durch unsere Berichterstattung angegriffen gefühlt haben.

 

Was habt ihr aus der Recherche gelernt?

Nils: Ich glaube, die Gefahr durch selbstgebaute Waffen ist ein Zukunftsthema, über das wir in den nächsten fünf bis zehn Jahre noch oft sprechen werden. Man braucht keine Kontakte mehr zur organisierten Kriminalität, zur Bundeswehr oder zu einem Schützenverein, um mit Waffen in Kontakt zu kommen. Das ist eine neue Community von Waffen-Fans, und für sie sind Waffen ein zentraler Bestandteil der eigenen Identität. Sie glauben, alle Menschen hätten ein Anrecht auf Waffen. Wir kennen diese Mentalität vor allem aus den USA, aber es gibt sie auch in Deutschland.

 

Julia: Ich glaube, viele Behörden halten Waffen aus dem 3D-Drucker noch immer für Plastikschrott, der nicht gut funktioniert. Aber das ändert sich mit Modellen wie der FGC-9. Manche Forenmitglieder kamen offenbar aus Deutschland. Deshalb glaube ich, dass diese selbstgebauten Waffen schon unter uns sind. Ich halte es für kein gutes Argument zu sagen, dass Menschen so oder so an eine Waffe kämen. Das ist kein Grund, auf Regulierung zu verzichten. Ich befürchte, dass erst etwas Schlimmes wie ein Attentat passieren muss, bevor das Thema ernst genommen wird.

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Sebastian schreiben
Lieben Dank fürs Lesen und viel Erfolg bei der Recherche!
Sebastian
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